Seestar S50 SmartTelescope

Dieser Artikel ist bereits mehr als ein Jahr alt (September/Oktober 2023), aber ich bin erst jetzt dazu gekommen, ihn zu veröffentlichen. Weitere Berichte über den Seestar S50 werden sicher folgen.

M 8

Was das Seestar S50 eigentlich ist, beschreibe ich weiter unten. Vorgestellt im März 2023, bestellbar zum Pre-Order Preis ab April 2023, und in homöopathischen Dosen ausgeliefert ab Mitte September 2023 war ich angenehm überrascht, mein persönliches, privat gekauftes Exemplar, bestellt Anfang Juni, bereits am 28. September 2023 in Empfang zu nehmen. Der Plan war, dass ich es umgehend teste und einen Blogbeitrag über meine Eindrücke verfasse. Meine Vorstellung war, ChatGPT einen moderat positiven Text ausspucken zu lassen und fertig (Scherz…). Aber es kam alles anders. Darum kommt vor dem eigentlichen Test (siehe weiter unten) erst mal Drama.

Drama!

Das Seestar kommt in einer bunt bedruckten Pappschachtel, in der sich ein überraschend solider Koffer befindet. Im Koffer liegen das Seestar und ein kleines leichtes und wunderbar solides Carbon-Stativ in einer jeweils passgenau ausgesparten Polsterung. Leider zu gross für das Helmfach meines Rollers Silence 01 (Ivy). Pas de problème, wofür hat man einen Rucksack. Das Stativ also ins vordere Fach, den Seestar ins hintere, wo es fast perfekt reinpasst. Der Reissverschluss musste nur ein kleines bisschen offen bleiben. Und da der Roller sehr hart gefedert ist, und optische Instrumente empfindlich auf Vibrationen und Stösse reagieren, erschien mir der Transport im Rucksack schonender. Bis in die Monbijou-Unterführung war es das wohl auch. Und dann hinter mir ein Donnerschlag, danach ein schabendes und dröhnendes Kratzen auf dem Asphalt. Mir war sofort klar, das passiert war.

Mit wenig Hoffnung habe ich das Gerät erst mal zum Laden angeschlossen (geht!), und auf das mitgelieferte Stativ geschraubt. Nicht direkt, allerdings: zwischen Seestar und Stativ habe ich noch einen unheimlich praktischen Präzisions-Nivellierkopf geschraubt. Schliesslich will das Seestar sorgfältig waagerecht ausgerichtet werden, und die Justage mit den Stativbeinen erschien mir vergleichsweise wenig präzise.

Dann zittern und einschalten: geht! Dann die Seestar App starten und mit dem Gerät verbinden (über WIFI): geht! Und da die Optik keine sichtbaren Schäden zeigte, ging’s jetzt auf’s Ganze oder besser auf die Terrasse. Mit der App kann man nun astronomische Objekte wie Planeten, Gasnebel und Sternhaufen aus einer Liste oder einem Sternatlas suchen, und das Seestar fährt dann dieses Objekt an und beginnt, es zu fotografieren. Ich habe Sonne ausgewählt (ein passender Sonnenfilter wird übrigens gratis mitgeliefert), und das Gerät setzt sich wie von Geisterhand in Bewegung. Beide Motoren laufen leise und sauber. Geht! Schwein gehabt. Und jetzt kann’s auch ans Testen gehen.

Testbericht

Das Seestar stammt vom sehr dynamischen und renommierten Astro-Camera-Spezialist ZWO, und kombiniert etliche von ZWO Produkten in einem gemeinsamen Gehäuse:

  • weitwinklig, ideal für mittelgrosse Nebel und Sternhaufen. Weniger ideal für Planeten. Durch den Einsatz von drei Linsen ist das Bild sauber farbkorrigiert.
  • Ein Filterrad, dass intern verbaute Filter (ein Dual Band Filter für Emissionsnebel und zur Streulicht-Unterdrückung, und einen undurchsichtigen Filter, um schwarze Fotos – sogenannte dark frames – zur späteren Korrektur von Hot Pixel und Sensorrauschen zu erfassen).
  • Einen Autofokus
  • Einen Sony CMOS Sensor (IMX462)
  • Ein GPS-Modul und einen Neigungsmesser zur Ermittlung der Lage und Position
  • Ein Akku für 6 Stunden Betrieb
  • Ein Bluetooth und ein WIFI Modul zur Herstellung der Verbindung zum Smartphone
  • Gratis-App für iOS und Android

In der App kann man eine sehr detaillierte Sternkarte zur Auswahl von Objekten benutzen, oder Objekte durch Eingabe in ein Suchfeld auswählen. Der Seestar fährt dann automatisch wenigstens grob in die richtige Richtung, schiesst im Hintergrund ein Foto, vergleicht die Sterne auf dem Foto mit den hinterlegten Sternpositionen («Plate solving») und iteriert ein paar Mal, bis das gewünschte Objekt im Zentrum ist.

Jetzt beginnt der Seestar von selbst, jeweils 10 Sekunden lange Bilder aufzunehmen, und sie live zu addieren («stacken»). Das immer besser werdende kombinierte Bild wird live angezeigt. Sehr beeindruckend!

Die Resultate, d.h. die fertig prozessierten Fotos, landen per WIFI als JPG auf dem Smartphone, und bleiben im Astronomie-spezifischen FITS Format auf dem internen Speicher, der mittels USB-C Verbindung ausgelesen werden kann. Nach einem Firmware-Update im Dezember 2023 können auf Wunsch auch einzelne Frames gespeichert werden, die ambitionierte User dann mit speziellen Astrofotografie-Programmen wie Siril oder Pixinsight stacken und verarbeiten können.

Mit dem gleichen mitgelieferten Kabel kann der Akku auch wieder aufgefüllt werden.

Die Qualität der Fotos ist recht ansprechend, kann sich aber ehrlicherweise nicht mit «ernsthaften» Teleskopen und Cameras messen. Andererseits sind die Vorteile schon sehr verlockend:

  • Alles sauber aufeinander abgestimmt in einem Gehäuse
  • In wenigen Minuten sieht man, wie sich das Live-Bild aufbaut und immer besser wird
  • Nur 142 x 129 x 257mm gross und 3 kg schwer: (Flug)Reisetauglich!
  • Sehr einfach zu bedienen
  • Mit Solarfilter
  • Austauschbarer Akku
  • Sehr günstig: unter 600 CHF!

Die Fotos gewinnen durch Bearbeitung in PC bzw. Mac-Programmen, oder auch direkt auf dem Smartphone, wie die beiden folgenden Fotos zeigen. Links das Original, rechts moderat bearbeitet.

Neben dem Betriebsmodus «Star Gazing», mit dem Deep Sky Objekte fotografiert werden, gibt es weitere Modi:

  • Solar (Sonne)
  • Lunar (Mond)
  • Planets
  • Scenery (für ganz normale Fotos bei Tag)

Die Ergebnisse bei Planeten sind natürlich eher bescheiden, da das optische Design eben auf ausgedehnte Objekte und nicht auf hohe Vergrösserung ausgelegt ist.

Einige Nachteile gibt es aber auch:

  • Die Belichtungszeit der einzelnen Fotos kann nicht eingestellt werden (länger als etwa 15 Sekunden pro Frame würde aber zu Strichspuren führen)  Dieses Feature wurde mittlerweile durch ein Update nachgerüstet.
  • Es ist nicht möglich, ein Programm für die Nacht zu planen, das dann autark abgearbeitet wird. Zum Beispiel:
    • 15 Minuten Orion-Nebel 45 Minuten Pferdekopfnebel 10 Minuten Plejaden
    • Dieses Feature ist aktuell (Januar 2025) in Planung.
  • Es ist bisher nicht möglich, grössere Objekte App-unterstützt in Mosaike zu unterteilen, die dann zusammengesetzt werden Dieses Feature wurde mittlerweile durch ein Update nachgerüstet. Test folgt.
  • Leider kann man den Bildausschnitt nicht so drehen, dass er für das anvisierte Objekt gut passt, wie in diesem Beispiel (Andromedanebel M31), der besser auf’s Bild gepasst hätte, wenn man im Querformat arbeiten könnte.

Fazit

  • Preiswert
  • Kompakt
  • Komplett
  • Smart und einfach
  • Sehr günstig
  • Ausgewogenes Konzept
  • Ausbaufähige Software
  • Sehr dynamische Weiterentwicklung der App und der Firmware
  • ZWO, der Hersteller des Seestar, hört aktiv auf User-Kommentare und Wünsche in den sozialen Medien
  • Ordentliche Bildqualität
  • Gute Performance
  • Stabil (siehe Abschnitt «Drama»)