Impressionen aus dem Bernmobil-Bus-Netz, und wie man vom Weltraum dorthin kommt: eine Bogenkarriere

In diesem Artikel zeige ich euch ein paar Impressionen von meinen Buslinien im Netz 3 von Bernmobil, und verknüpfe das mit ein paar Erläuterungen, wie man vom Dozent und Project Manager zum Buschauffeur wird.

Bei Köniz Leen, Linien 22 und 29. Hier steigt beinahe nie jemand ein oder aus. Fahrgäste, die einsteigen wollen, winken mit dem Smartphone im Taschenlampenmodus und hoffen auf einen aufmerksamen Chauffeur. Fahrgäste, die aussteigen wollen, verlassen sich zu recht nicht auf den Haltewunsch-Knopf, sondern suchen schon beim Einsteigen das Gespräch: „Eksgüse, Chauffeur, ich würde dann gärn bei Leen aussteigen“.

(Anmerkung für meine Leser in Deutschland: Busfahrer heissen hier tatsächlich Chauffeur, oder offiziell Fahrdienstangestellte(r) – da ziehe ich den Chauffeur vor).

Prolog: die Prophezeiung

Eine alte Dame erkannte schon im Juni 2011 in mir,
was aus mir werden würde: Kiruna

Erster Akt: Ad astra

Diplom in Geophysik 1990
Promotion in Planetenphysik 1995
Project Manager für Messinstrument auf der Kometensonde „Rosetta“ 1996 – 2002
Project Manager für Messinstrument auf der Merkursonde BepiColombo 2004 – 2017

Die Linie 22 im Papillion-Kreisel. Gesehen aus dem Blickwinkel der 29, die das Wohngebiet bedient, das von der 22 wörtlich links liegen gelassen wird. Merke: die 22 muss vor der 29 sein, da sie am Bahnhof Köniz direkt wieder abfährt, während die 29 dort einen kurzen Aufenthalt hat (Anschluss abwarten). Landet die 29 versehentlich vor der 22, hält der Chauffeur die Augen auf und dreht eine oder zwei Extra-Runden im Kreisel, bis es passt. Dankbare Gestik der Chauffeurin der 22 sind garantiert.

Zweiter Akt: Karma

Habilitation in Physik 2009

Kollegen und Freunde fragen mich: „Bewirbst du dich jetzt auswärts auf eine Professur? Gehst du dann nochmal weg von hier?“

Meine Antwort:
„Bevor ich nochmal von Bern weggehe, fahre ich lieber hier Tram.“


Man soll das Schicksal nicht herausfordern.

Die Linie 29 bei der Einfahrt in den Papillion-Kreisel. Siehe letztes Bild. Hier heisst es, Augen auf: wo ist die 22?
Nach dem Fahrplanwechsel im Winter sollte die Baustelle Papillion aufgehoben sein, und die 29 fährt eine andere Route mit ein oder zwei neuen Haltestellen.

Dritter Akt: Implosion

Der Kanton Bern beschliesst, seine Angestellten ab dem 55. Lebensjahr besser vor Arbeitslosigkeit zu schützen. Die Uni Bern setzt diese Forderung um und beschliesst, dass Mitarbeiter ab 55 nicht mehr befristet angestellt werden dürfen.

Sondern unbefristet. Oder gar nicht.

Linie 29 in Gegenrichtung: Einfahrt ins Neubaugebiet Papillion. Auf diesem Abschnitt sind wir allein, da eine Barriere den MIV (Motorisierter Individual-Verkehr) aussen vor hält. Es könnte aber ein(e) Kolleg:in kreuzen – also Augen auf und Ausweichfläche nutzen!

Vierter Akt: ein blinder Seestern…

…streckt seine Arme aus in alle Richtungen, die wie „nach vorn“ aussehen. Über zweihundert Bewerbungen, weniger als zehn Vorstellungsgespräche. Nach zwei Jahren Auslaufen des Tagegeldes. Ausgesteuert.

Linie 32. Die „Wellness-Linie“. Hin- und zurück in 18 Minuten, dank 30 Minuten Takt in Riedbach am Bahnhof je 12 Minuten Pause pro Umlauf. Achtung: bei Niederriedbach kann sich ein Zufallsanschluss ergeben, wenn jemand aus der senkrecht kreuzenden Linie 22 aussteigt und nach Riedbach einsteigen möchte. Also Augen auf!

Intermezzo

Freiberuflicher Dozent an der TEKO Fachschule Bern. Kurse in Physik, Wissensmanagement, Kompetenzmanagement und Präsentationstechniken.
Sehr viel Spass und Freude, aber nur ein kleines Pensum, unregelmässiges Einkommen und kein Fluss in die Pensionskasse. Trotzdem: merci, TEKO! Ich habe die Zeit dort sehr genossen.

Bahnhof Niederwangen. Hier starten und enden die Linien 27, 29 und 31. Jeweils grosses Chauffeur-Aufgebot, vor allem dann, wenn abgelöst wird! Hier fährt gerade die 27 über die Brücke über den Stadtbach ein (man beachte die Reflektion von der Türe im Bach).

Fünfter Akt: vom Seestern zum Seh-Stern

Wenn Plan A, B, C und D nicht funktionieren: was kann ich noch, was mache ich gern, wenn auch schlecht:

Kochen: aber als Koch arbeiten? Lieber nicht. Kochen wird ein Hobby bleiben.

Fotografieren: eine Karriere als Fotograf? Klingt so realistisch wie eine Karriere als Profi-Golfer. Bleibt also ein Hobby.

Auto fahren: gern und mit Ausdauer und Ambitionen. Aha. Das Karma setzt sich in Gang, die Prophezeiung aus Kiruna wird wahr?…

Linie 28 nähe Dunkerweg. Slalom durch drei wunderschöne majestätische alte Eichen. Diese Passage ist eigentlich für den MIV (motorisierter Individual-Verkehr) gesperrt, aber „dank“ fehlender Barriere oder Poller ist hier mehr Verkehr als auf der A1 (naja fast). Leider wissen die wenigsten Autofahrer, wie und wo man hier kreuzen kann und wo nicht. Wer gern Autofahrer gestikulieren und fluchen und Autos zurück setzen sieht, sollte sich mit einem bequemen Sessel hier niederlassen.
Die Linie 28 ist sehr lang und vielseitig; mehrspurige Kreisel, Busspuren, Punktsignale, mit Tram geteilte Haltestellen, Barrieren… und immer mit Volvo zu bedienen. Hassliebe (die meisten Chauffeur:innen hassen ihn!), heikel zu fahren, alt, aber auch mit Charme.

Sechster Akt: der Bogen in der Karriere

Bewerbung bei Bernmobil. Vorläufige Einstellungszusage. Medizinischer und psychologischer Eignungstest. Theorie Kategorie D (Car/Bus). Fahrschule Kat. D., Prüfung, Training im Netz, und jetzt fahren.

Linie 28 nähe Dunkerweg, in Gegenrichtung. Slalom durch drei wunderschöne majestätische alte Eichen.

Epilog

Was ich noch nie hatte, aber jetzt geniesse:
Wenn der Dienst vorbei ist, ist wirklich Feierabend. Ich habe noch nie am Abend oder Wochenende oder in den Ferien gedacht, „Ohje, ob die Linie 31 wohl wieder verspätet ist?“

Ob als Student, Doktorand, Dozent oder Project Manager: es gab immer Arbeit, die zuhause und in der eigentlich freien Zeit gemacht werden wollte.

Wenn der Dienst vorbei ist, ist er vorbei. Ich habe etwas erledigt und abgeschlossen, die Fahrgäste sind froh und dankbar (und sagen das auch erstaunlich oft). In allen bisherigen Jobs war eine Arbeit nie fertig; es war immer etwas offen und meistens verspätet und dringend.

Oft, eigentlich fast jeden Tag, denke ich so eine halbe Stunde nach Dienstbeginn, „das hier ist eigentlich noch ein cooler Job. Ich sitze vorn, klimatisiert, höre stundenlang Blogs und Spotify, bin nett zu anderen Chauffeuren, den Velofahrern, Autofahrern und Fahrgästen, freue mich, dass sie sich freuen, sehe mir die Gegend und die Leute an, und hab Freude an dem, was ich da mache.

Peace of mind.

Endstation der Wellnesslinie 32 am Bahnhof Riedbach. Oben rechts im Bild: die Venus. Dazu passend „W.Nuss von Bümpliz“ von Patent Ochsner

3 Antworten auf „Impressionen aus dem Bernmobil-Bus-Netz, und wie man vom Weltraum dorthin kommt: eine Bogenkarriere“

  1. Lieber Kollege. Wie Du weisst, hat mich das Leben auch auf dem falschen Fuss erwischt. Auch ich durfte die Vorzüge von Bernmobil erfahren und bin seit 6 Wochen als Tramchauffeur unterwegs. Ich kann deinen Worten nur zustimmen. Ich hatte noch nie so einen sozial eingestellen Arbeitgeber und einen Job der mir so viel Spass macht. Warum habe ich das erst 2020 geschafft? Das nächste Ziel ist noch die Ausbildung zum Buschauffeur. So kann ich zwischen Schiene und Strasse switchen.

    1. Vielen Dank, Harry! Tram würde mich auch noch reizen. Aber wir beide sind recht weich gefallen, denk ich. Und happy.

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