Sie kennen das: Sie klicken einen Link im Netz an, landen auf einer Seite und werden aufgefordert, sich einzuloggen oder einen kostenpflichtigen Account anzulegen. Nicht schon wieder! Oder der Text, den Sie lesen, nimmt nur einen schmalen Streifen in der Mitte der Seite ein, und links und rechts blinken Werbeanzeigen. Das Youtube-Video, das eine Kollegin empfohlen hat, startet mit einem 20-Sekunden Werbeclip. Vielleicht sind Sie nur genervt und halten das aus. Oder Sie brechen das Video ab und verzichen auf das Lesen des Artikels hinter der Paywall – das kann nicht in Ihrem Sinne und auch nicht im Sinne der Content Provider liegen.
Flattr bietet einen interessanten Lösungsansatz
Andererseits erwarten Sie gut recherchierte und ordentlich bebilderte Artikel oder technisch einwandfreie Youtube-Videos.
Die Macher dieser Inhalte müssen aber auch leben und irgendwie ein Einkommen generieren. Ohne Einkommen setzt sich der beklagenswerte Trend fort, nur noch Agenturmeldungen oder Zufallsfundstücke aus dem Netz als „Nachricht“ zu verbreiten.
Sie würden vielleicht gern zahlen für Qualität, aber es nervt und ist schrecklich unpraktisch, auf jedem Portal einen Account einzurichten und zu bezahlen. Noch mehr Passwörter, noch mehr potentielle Sicherheitslücken. Und sie bezahlen auch, wenn Sie mal eine zeitlang gar nichts oder nur Artikel über Rosenzucht lesen. Irgendwas am System ist krank, und Lösungsansätze sind rar.
Flattr
Der schwedische Mircopayment-Dienst Flattr bietet eine sehr elegante potentielle Lösung des Dilemmas. Flattr gehört zu Eyeo, einem Anbieter eines bekannten Adblockers. Flattr geht aber einen anderen weg, basiert auf freiwilliger Bezahlung für konsumierte Inhalte und kommt, nachdem man sich eingerichtet hat, ohne aktives Zutun aus. Dabei hebelt Flattr nicht etwa mit Adblockern oder gecrackten Accounts die bestehenden Monetarisierungs-Techniken aus, denn ein Ziel von Flattr ist ja gerade, den Content Providern Geld von den Konsumenten zukommen zu lassen, und das so einfach und reibungslos wie möglich.
Am 24. Oktober 2017 wurde Flattr offiziell gestartet, und funktioniert bisher leider nur mit Chrome und Firefox. Safari, MS Explorer und mobile Plattformen bleiben vorerst aussen vor – sehr schade.
Flattr für Nutzer
Besucher, die „gern“ für Inhalte zahlen möchten, registrieren sich bei Flattr und zahlen monatlich und per Abo einen frei wählbaren Beitrag in ihr Flattr-Konto. 10$, 25$, 1000$, es liegt ganz bei Ihnen. Ausserdem werden einmalig Browser-Plug-Ins installiert, die im Hintergrund beobachten, welche Inhalte angeschaut werden. Am Ende des Monats wird automatisch der eingezahlte Betrag nach einem Schlüssel auf die Anbieter verteilt, die besucht wurden. Nachteilig ist hier das lückenlose Tracking des Nutzers im Hintergrund. Auch wenn Flattr natürlich versichert, dass alle Daten anonym und verschlüsselt sind und selbstverständlich nicht weiter gegeben werden, bleibt hier vor Allem bei nervösen Nutzern ein fahler Beigeschmack.
Der Vorteil liegt allerdings auf der Hand: die monatlichen Kosten sind limitiert und können gar selbst gewählt werden, und die Weitergabe an Seitenbetreiber, die besucht wurden, passiert anonym, fair und automatisch.
Flattr für Anbieter
Anbieter benötigen natürlich ebenfalls einen Account bei Flattr. Übrigens ist jeder Account bei Flattr automatisch sowohl für Nutzer als auch als Anbieter freigeschaltet – es braucht also keinen separaten oder gar kostenpflichtigen Account für Blog-Betreiber, Youtube-Kanäle oder News-Seiten. Anbieter müssen allerdings ihre Inhalte markieren und ihrem Flattr-Account zuordnen. Bei Webseites geschieht dies zum Beispiel mit einem <meta>-tag im Header, der nach Aussen unsichtbar ist, aber von den beim Nutzer installierten Tracker ausgelesen wird. Am Ende des Monats wird dem Konto basierend auf Besucherzahlen und deren Budgets ein Betrag gutgeschrieben, der direkt auf ein mit dem Account verbundenen Bankkonto überwiesen werden kann. Der Anbieter kann aber nicht sehen, von welchen Usern er Geld bekommen hat. D.h. die Anonymität des Nutzers bleibt gewahrt.
Besonders geeignet ist Flattr für nebenberufliche Gelegenheitsblogger und Youtube-Filmer, die weder Werbung schalten können oder wollen noch eine Paywall betreiben möchten. Sie können mit sehr kleinem Aufwand ein virtuelles Sparschwein aufstellen, in das jeder Flattr-User bei einem Besuch einen kleinen Betrag steckt.
Flattr für Flattr
Natürlich will Flattr selbst auch etwas verdienen. Dazu fliessen 7.5% der transferierten Beträge direkt an Flattr und weitere 9% Gebühren für abgewickelte Zahlungen. Ausserdem werden für Anbieter 3$ pro Abbuchung der verdienten „Flattrs“ fällig.
Zusammenfassung
Natürlich entfaltet sich der wahre Nutzen von Flattr (und vielleicht ähnlicher Bezahlkonzepte, die kommen und gehen werden) erst dann, wenn Anbieter ausreichend viel Einkommen generieren können, und dann freiwillig Werbung von ihren Inhalten verbannen und Paywalls einreissen. Und Flattr wird Skeptiker beruhigen müssen, was die Vertraulichkeit des Surfverhaltens angeht. Ausserdem sollten dringend die wichtigsten Browser wie Safari und Explorer sowie iOS und Android unterstützt werden.
Aber das Konzept an sich ist fair, elegant, berechenbar, einfach und dennoch mächtig, und könnte Werbung und Paywalls durch freiwillige Zahlungen der Nutzer ersetzen. Ausserdem sorgt der Verteilschlüssel dafür, dass beliebte Inhalte mehr Einkommen generieren als solche, bei denen der Besucher gleich wieder weitersurft. Somit ist der Name Flattr eine ausgezeichnete Wahl, bedeutet „to flatter“ doch so viel wie jemanden loben, ein Kompliment machen.
Übrigens: diese Website und dieser Artikel sind meinem Flattr-Konto zugeordnet. Wenn Sie bei Flattr registriert sind, Chrome oder Firefox verwenden und bis hierher gelesen haben, bedanke ich mich schon jetzt ganz herzlich für das Klimpern, das ihr „Flattr“ in meinem virtuellen Sparschwein erzeugt hat.
Eine Antwort auf „Genervt von Werbung und Pay Walls im Netz? Flattr bietet eine mögliche Lösung an“
Kommentare sind geschlossen.