Vor ein paar Tagen erreichte mich eine Urkunde der ESA (siehe Bild), die meinen Beitrag an der Rosetta-Mission würdigt. Wie es dazu kam?
1993 sassen wir, angehende oder schon etablierte Planetologen und Weltraumforscher, in der Küche meiner WG in Münster, und diskutierten bei Rotwein und Kerzenschein, malten oder skizzierten Ideen, setzten einen Aktionsplan auf, und träumten ziemlich verrückte Träume.
Die ESA, sagten Gerüchte, wolle zu einem Kometen fliegen und dort womöglich einen kleinen unbemannten Lander absetzen. Verrückt, wie gesagt. Die üblichen Verdächtigen brachten sich in Stellung und planten Cameras, Massenspektrometer, Magnetometer, einen Bohrer… aber niemand dachte daran, die Energiebilanz zu bestimmen. Alles, was man von der Erde aus von einem Kometen sehen kann, wird vom winzigen nur wenige km grossen Kern ausgeschwitzt. Gase, Staub… und die Energie, die Gase durch Verdampfen von Eis freisetzt und Staub hebt, kommt ausschliesslich oder ganz überwiegend von der Sonne. Das heisst, man muss doch nur an der Oberfläche und etwas darunter messen, wie warm es dort wird, und dann kann man verstehen, wann wieviel Gas in welcher Tiefe freigesetzt wird, und wie sich der Komet an der Oberfläche langsam verändert und altert. Niemand hatte das auf dem Plan, aber wir…Verrückten.
Zwei Jahre später reichten wir den Projektantrag ein und wurden ausgewählt. Against all odds. Ein Team mit Mitgliedern aus Graz, Warschau, Canterbury, Berlin und Münster (meinem damaligen Institut) entwickelte, baute und testete ein Instrument names MUPUS, bestehend aus einer Thermalsonde, die in den Boden eindringen sollte, einem kleinen Infrarotsensor, sowie je einem Temperatursensor und Beschleunigungssensor, die in den beiden Harpunen der Landesonde untergebracht waren. Ich war ab 1996 als Project Manager für die Koordination und programmatisch-technische Leitung des Projekts zuständig. 2002 lieferten wir das Fluginstrument ab. Ein Jahr später wechselte ich nach Bern und gab meinen Posten als Project Manager an meinen Nachfolger weiter.
Ich will hier nicht einen detaillierten Schulaufsatz über Rosetta und Philae und MUPUS schreiben – das Internet ist voll von solchen Schilderungen. Aber ein bisschen was muss doch gesagt werden. Rosetta startete im Frühjahr 2004, also etwa zehn Jahre nach Projektbeginn. Im November 2014, also weitere zehn Jahre später, landete – nach drei unbeabsichtigten Hüpfern – der mittlerweile Philae getaufte Lander auf dem Kometen Churyumov-Gerasmenko. Unser Instrument arbeitete wie geplant – aber der Komet wollte nicht kooperieren und war überrasched hart, so dass die Thermalsonde nicht in den Boden eindringen konnte. Die drei Tage, in denen Philae auf der Kometenoberfläche arbeitete, durfte ich im Philae Kontrollzentrum beim DLR in Köln-Porz verbringen und so unmittelbar dabei sein, wenn Daten empfangen wurden, hitzige Diskussionen entfachten und Entscheidungen über die nächsten Schritte gefällt wurden. Das waren wohl mit die aufregendsten Tage meines Lebens. Allein die Vorstellung, dass etwas, was wir uns ausgedacht, gebaut, berüht, getestet haben, jetzt, nach so langer Zeit, in vielen Millionen km Entfernung wie geplant arbeitet, ist irgendwie crazy. Die von MUPUS schmerzhaft gewonnene Erkenntnis, das der Komet entgegen der weitverbreiteten Überzeugung nicht weich ist, wurde später als eines der wichtigsten Ergebnisse von Philae bewertet, und passt einigen Kometenforschern immer noch nicht so recht in den Kram.
Mittlerweile ist die Rosetta-Mission beendet. Ich habe den Weltraum-Bereich hinter mir gelassen und blicke mit Stolz auf meinen Beitrag für MUPUS, Philae und Rosetta zurück. In wenigen anderen Branchen hat man noch die Zeit und Geduld, mehr als 20 Jahre von der Idee bis zum Projektende zu verbringen.
Vor ein paar Tagen erreichte mich eine Urkunde der ESA (siehe Bild), die meinen Beitrag würdigt. Schön. Vielen Dank, ESA, vielen Dank, DLR, vielen Dank, MUPUS-Kollegen!