Sojus T-15: die vielleicht coolste bemannte Weltraummission bis heute

 

Salyut 7 mit angedockter Sojus T
Salyut 7 mit angedockter Sojus T
(c) NASA, Public Domain; http://web.archive.org/web/20041109203851/

OK, das ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen. Schliesslich gab es da noch die Apollo-Missionen zum Mond. Aber die sind Legende, während die Sojus T-15 Mission kaum beachtet wurde.

TL;DNR: Andauernde Probleme mit der Saljut 7 Raumstation einerseits, und die bereits gestartete Mir Station andererseits konfrontierten die sowjetische Raumfahrt Mitte der 80er Jahre mit einem Dilemma: sollte man die Saljut 7 reparieren und die noch ausstehenden Experimente durchführen, oder die Mir so schnell  wie möglich in Betrieb nehmen und Saljut7 aufgeben? Da nur noch eine Sojus-Kapsel zur Verfügung stand, die an beide Raumstationen ankoppeln kann, musste eine Entscheidung her. Und man entschied sich zu einer riskanten Lösung: nicht entweder/oder sondern sowohl/als auch. Zwei Kosmonauten nahmen zunächst die Mir in Betrieb, wechselten von dort zur Saljut 7, führten die dort wartenden Experimente durch, und kehrten anschliessend zur Mir zurück. Nie zuvor und nie danach ist eine Crew von einer Raumstation zu einer anderen (und dann auch noch retour) geflogen.

Mit einer ballistischen Rakete bis auf >100 km starten, den Weltraum, der eben bei 100 km Höhe beginnt, erreichen und dann wieder landen, so wie es einige Unternehmen in naher Zukunft für zahlende Kunden anbieten? Recht cool. Und wird wohl bald Routine, so wie Achterbahn Rollercoaster fahren.

Mit einer Raumkapsel wie der russischen Sojus, der chinesischen Shenzhou, der kommenden Dragon V2, dem mittlerweile eingemotteten Shuttle auf 400 km Höhe fliegen, die Erde ein paar mal umrunden und wieder landen? Ziemlich cool. Wurde aber auch schon sehr oft gemacht. Seit Wostok, Mercury, Gemini... in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Mit einer Sojus, dem Shuttle oder den anderen bemannten Kapseln zu einer Raumstation fliegen, dort eine Weile bleiben und dann wieder landen? Sehr cool. Und ebenfalls schon oft gemacht. Von Amerikanern, Russen und Chinesen mit eigener Hardware, und zahlenden Gästen aus Europa, Afrika, Asien samt Japan, Süd- und Mittelamerika. Wer hat noch nicht, wer will nochmal? Sigmund Jähn, Claude Nicollier, Ulf Merbold, Franz Viehböck, wer mag sich nicht erinnern?

Mit einer Raumkapsel zu einer bis dahin noch unbenutzen Raumstation fliegen, dort eine Weile bleiben, dann von dort wegfliegen zu einer anderen Raumstation, die „dank“ eines Kurzschlusses in unbekanntem Zustand ist, diese wieder reparieren, in Betrieb nehmen, dort eine Weile bleiben, dann das Tafelsilber und anderes wertvolles Gerät in die Raumkapsel packen und zurück zur ersten Raumstation fliegen, dort das gerette Gerät auspacken, in Betrieb nehmen, eine Weile bleiben und dann wieder landen: einmalig. Nochmal ganz langsam: Zuerst zur Raumstation A, dann zur Raumstation B, und wieder zurück zur Raumsation A. Wie cool ist das denn? Und doch haben sie es gemacht: zwei Kosmonauten der Sowjetunion, die mit einer Sojus, eben der T-15, zur gerade erst gestarteten Mir flogen, von dort zu havarierten Saljut 7, und nach erfolgter Reparatur und längerem Aufenthalt wieder zur Mir.

Dieses Husarenstück ist aber nicht aus purem Übermut entstanden, sondern wie so oft bei Husarenstücken aus Verzweiflung oder zumindest einer gewissen Notlage.

Aber der Reihe nach… wir nehmen uns Zeit und nähern uns der Sojus T-15 Mission aus dem Kontext der Ausgangssituation.

Die Ausgangssituation

Wir befinden uns in den frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Apollo-Ära war seit 1972 Geschichte. Die letzte Apollo-Kapsel dockte 1975 mit einer Sojus zusammen. Völkerverständigung im All oder ISS 0.1. Danach war die NASA bis 1981 ohne eigene bemannte Raummissionen dazu verurteilt, der Sowjetunion zuzuschauen, wie dort Raumstation nach Raumstation in den Erdorbit gebracht und in immer länger dauernden Missionen bemannt wurden. 1981 schlug die NASA zurück und feierte den ersten Flug des Space Shuttle, das versprach, die bemannte Raumfahrt in ganz neue Dimensionen zu katapultieren. Das Challenger Desaster sollte den Träumen erst 1986 einen extrem schmerzhaftes Ende bereiten. Während die USA sich anschickten, mit dem Shuttle die bemannte Weltraumfahrt zu revolutionieren, konnte die Sowjetunion auf sehr umfangreiche Erfahrungen mit dem Betrieb und der Versorgung von Raumstationen und deren Besatzung – auch für mehr als 200 Tage – bauen.

Saljut 7

Die Saljut 7 (auch Salyut 7 im Englischen) trat, wie der Name schon sagt, die Nachfolge der sehr erfolgreichen Saljut 6 an, und wurde am 19. April 1982 gestartet – fast genau ein Jahr nach dem Jungfernfluf des Space Shuttle „Columbia„. Saljut 6 und Saljut 7 waren vergleichsweise einfach aufgebaute Raumstationen, die aus einem zentralen zylindrischen bewohnbaren Bereich bestanden, an deren beiden Enden je ein Kopplungsmechanismus vorhanden war. Hier konnten sowohl bemannte Sojus-Kapseln als auch unbemannte, von der Sojus abgeleitete Versorgungskapseln vom Typ Progress andocken. An Saljut 7 dockte gelegentlich an einem Ende ein Modul an (von März bis August 1983 TKS-3, offiziell als Kosmos 1443 bezeichnet; von September 1985 an TKS-4, offiziell als Kosmos 1686 bezeichnet). Beide waren über die Schleuse be“geh“bar und stellten eine kleine unter Druck stehende Arbeitsumgebung bereit. Sie enthielten einige als geheim weil militärisch motivierte Instrumente (Kosmos 1686 enthielt ein Infrarot-Teleskop, eine hoch auflösende Camera und ein weiteres, OZON genanntes Spektrometer).

Salyut 7 and Cosmos 1686 drawing.png
Saljut 7 (oben rechts/hinten) und Kosmos 1686 (vorn). (c) Public Domain. NASA – http://ston.jsc.nasa.gov/collections/TRS/_techrep/RP1357.pdf

Insgesamt wurde die Saljut 7 von 10 Sojus-Kapseln, von Sojus T-5 bis Sojus T-15 (ohne Sojus T-8), besucht. Sojus T-8 hätte ebenfalls zur Saljut 7 fliegen sollen, aber es kam beim Start zu einem Zwischenfall: die aerodynamische Hülle der Trägerrakete, engl. Shroud, riss eine Antenne ab, die für eine sichere Mission benötigt wurde. Daher musste Sojus T-8 wieder landen, ohne je an die Saljut 7 docken zu können.

Saljut 7 (vorn) mit angedockter Sojus T 14 (hinten)
Saljut 7 (vorn) mit angedockter Sojus T 14 (hinten). (c) unbekannt, vermutlich ein Crew-Mitglied der Sojus T 13. Siehe Wikipedia (EN)

Übrigens entsprechen die chinesisches Raumstationen Tiangong 1 und Tiangong 2 in etwa dem gleichen Konzept von Saljut, bei dem ein einzelnes zylindrisches Labormodul an beiden Seiten von bemannten und unbemannten Kapseln angeflogen werden kann, um die Station zu bemannen (durch Shenzhou für Tiangong bzw. Sojus-Kapseln im Fall Saljut) und mit Vorräten zu versorgen (durch Tenzhou bzw. Progress Transportern).

Das Design der TKS-Module, die als Kosmos plus Nummer gestartet wurden, lieferte die Grundlage für zahlreiche später geflogene Module, die an der Mir und noch später an der ISS angedockt wurden: Kvant 1 und 2, Kristall, Spektr, Priroda, Polyus, Zarya, Nauka.

Havarie und Rettung mit Sojus T-13

Die Saljut 7 erwies sich allerdings als störrisch und wenig kooperationsbereit. Im Februar 1985 verlor die Bodenstation nach einem massiven elektrischen Kurzschluss und einem gescheiterten ferngesteuerten Reparaturversuch den Kontakt zur Saljut 7. Die Station war zu diesem Zeitpunkt nicht bemannt, da die letzte Besatzung, Leonid Kizim, Vladimir Solovyov (diese beiden werden wir später noch einmal näher kennen lernen) und Oleg Atkov, die Station bereits verlassen hatten und die Nachfolger noch nicht gestartet waren. Sie trieb danach unkontrolliert, ohne Elektrizität, ohne Heizung, ohne Navigationsmöglichkeit im Erdorbit umher. Es wurde beschlossen, einen Reparaturversuch im Orbit zu starten. Dazu wurde aus der Sojus T-13 ein Sitz entfernt, zusätzliche Ausrüstung für das Andocken an eine vollkommen passive Raumstation installiert, und eine von den üblichen drei auf nur zwei Kosmonauten reduzierte Crew zu senden. Die Wahl viel auf Vladimir Dzanibekov und Viktor Savinykh. Dzanibekov war gerade mal ein Jahr zuvor bereits für knapp 12 Tage an Bord der Saljut 7 gewesen und wurde eben wegen dieser Erfahrung ausgewählt.

Soyuz-T drawing.png
Sojus T. (c) Public Domain; NASAhttp://ston.jsc.nasa.gov/collections/TRS/_techrep/RP1357.pdf

Was dann folgte, wäre sicher einen eigenen längeren Artikel wert, aber hier beschränken wir uns auf eine Zusammenfassung – schliesslich soll es hauptsächlich um Sojus T-15 gehen.

Da die Saljut 7 nicht, wie üblich, ein automatisches Andocken der Sojus T-13 unterstützen konnte, musste Dzanibekov per Hand die Sojus mit der Saljut 7 koppeln. Die Stationskabine befand sich zwar noch unter Druck, war aber komplett ausgekühlt. In Winterkleidung wurde die Fehlerursache gefunden, repariert und Saljut 7 so wieder in Betrieb genommen.

Danach konnte man, so dachte man, zum ursprünglichen Plan zurück kehren:  am 17. September 1985 startete die nächste Stammbesatzung, Georgi Grechko, Vladimir Vasyutin und Alexander Volkov mit Sojus T-14. Grechko verliess die Station bereits nach einer Woche wieder und landete zusammen mit Dzanibekov in der Sojus T-13, die ja nur für zwei Kosmonauten umgebaut war. Savinykh bliebt zusammen mit den beiden anderen Neuankömmlingen und der Sojus T-14 an Bord.

Abbruch wegen Krankheit: Sojus T-14

Ursprünglich hätten Vasyutin, Volkov und Savinykh für 6 Monate bleiben und zahlreiche Experimente durchführen sollen, aber es kam anders. Zwar konnte das schon weiter oben erwähnte TKS-4 alias Kosmos 1686 Modul empfangen, gekoppelt und in Betrieb genommen werden, das übrigens an dem Port andockte, der bis zuvor noch von der nun zur Erde zurück gekehrte Sojus T-13 besetzt war. Es gab also einiges an Verkehr dort oben, zumal in der Periode von Sojus T-13 auch noch zwei Progress Transporter andockten (Progress 24 und die seltsamerweise nicht Progress, sondern Kosmos 1669 genannte Mission im Juli 1985 – nicht zu verwechseln mit Kosmos 1686, das ja erst nach der Abreise von Sojus T-13 dazu kam).

Was nach der Ankunft von Sojus T-14 genau geschah, ist nicht ganz klar. Eine heftige Prostata-Infektion mit hohem Fieber bei Vasyutin soll eine Rolle gespielt haben, aber es gibt auch Berichte (oder Gerüchte) über Probleme mit der Stimmung und Leistungsbereitschaft der Crew, allen voran des Kommandanten. Jedenfalls musste die Mission aus diesen Gründen vorzeitig nach nur 2 Monaten abgebrochen werden.

Eigentlich hätte man ja nun mit Sojus T-15 weiter fahren können und die unerledigten Aufgaben, die durch den vorzeitigen Abbruch von Sojus T-14 liegen blieben, beenden können. Eigentlich. Aber dann gab es da noch die Sache mit der Mir.

Die Mir

Die Mir hätte auch Saljut 8 heissen können, aber das wäre ihr nicht gerecht geworden. Auch wenn das Zentralmodul ganz ähnlich aussah wie die Vorgänger, war doch das Konzept deutlich ehrgeiziger. An einem Ende gab es einen „Knoten“, der nicht nur einen, sondern jeweils im rechten Winkel angeordnet fünf weitere Kopplungsmechanismen aufwies. An jedem dieser Stutzen konnte ein weiteres Labormodul, ganz ähnlich dem Zentralmodul einer Saljut-Station, angedockt werden. Oder eben eine Sojus-Kapsel. Oder eine Progress-Kapsel. Oder (theoretisch) eine Buran-Raumfähre (zur Buran siehe unten). Oder – ganz real und viel später – ein Space Shuttle. Durch diese modulare Bausweise konnte die Mir nach und nach zu einer Raumstation mit mehreren Modulen erweitert werden. Die ISS übernahm dieses Konzept in viel grösserem Massstab, und die Chinesen bereiten ganz konkret für 2018 den Start von Tiangong 3 (wenn sie denn so und nicht anders getauft wird) vor, bei der ebenfalls nach und nach mehrere grosse Module angedockt werden können, um eine stetig wachsende grosse Station aufzubauen.

Die MIR am Ende des sukzessiven Ausbaus. Das Kernodul (grün) wurde nach und nach um weitere Labors (Violett, Hellblau, Hellgrau, Rot, Beige) erweitert. Progress- und Sojus-Kapseln konnten jeweils vorn oder hinten an den Komplex koppeln. Das NASA Space Shuttle dockte am braunen Docking Module unten rechts an. (c) Wikipedia (EN) / CC BY-SA 3.0 (Orionist - Basiert auf einem Diagramm von Seite 53 in NASA's Mir Mission Chronicle und dem original NASA Diagramm at File:Mir module.jpg. A diagram of the Soviet/Russian space station Mir following the arrival of the Priroda module and the deployment of new solar arrays on Kvant-1 at the end of May 1996, shown with a docked Progress spacecraft and Soyuz spacecraft.)
Die MIR am Ende des sukzessiven Ausbaus. Das Kernodul (grün) wurde nach und nach um weitere Labors (Violett, Hellblau, Hellgrau, Rot, Beige) erweitert. Progress- und Sojus-Kapseln konnten jeweils vorn oder hinten an den Komplex koppeln. Das NASA Space Shuttle dockte am braunen Docking Module unten rechts an. (c) Wikipedia (EN) / CC BY-SA 3.0 (Orionist – Basiert auf einem Diagramm von Seite 53 in NASA’s Mir Mission Chronicle und dem original NASA Diagramm at File:Mir module.jpg.)

Wegen der guten Fortschritte bei der Entwicklung und Fertigstellung der Mir einerseits und den andauernden Problemen bei Saljut 7 ergab sich allerdings eine Situation, die so ursprünglich nicht geplant war:

  • Die Saljut 7 hatte ihre Aufgaben noch nicht erfüllt. Teure Instrumente und nicht erledigte Experimente warteten darauf, durchgeführt zu werden – oder abgeschrieben. Das wäre ein teurer und extrem rufschädigender Abschluss von Saljut 7 gewesen; ein Eingeständnis des Versagens.
  • Die Mir war startbereit sollte auch aus Prestigegründen (die NASA konnte gerade mit dem Space Shuttle glänzen!) so bald wie möglich gestartet werden.

So oder so: im Februar 1986 wurde die Mir gestartet und im Erdorbit platziert. Nun hatte die Sowjetunion gleich zwei Raumstationen in Betrieb – und das einen Monat nach dem Challenger-Unglück der NASA.

Kopplungsmechanismen

Für die Mir, die ja zu einer Multi-Modul-Station ausgebaut werden sollte, wurde auch ein neuer Kopplungsmechanismus namens Kurs entwickelt, der mit dem alten, bei Saljut 7 verwendeten Igla Mechanismus nicht kompatibel war. Zwar waren beide Ports mechanisch passend, aber das System zum automatischen Andocken unterschied sich. Das heisst, die Sowjets hatten mit der Saljut 7 und der Mir zwei Raumstationen mit unterschiedlichen Kopplungsmechanismen im Einsatz. Immerhin verwendete die Mir an einem der beiden Enden einen Port, der sowohl mit Igla als auch mit Kurs kompatibel war, um den noch mit Igla ausgerüsteten Progress-Kapseln ein automatisches Andocken zu ermöglichen, während der vordere Knoten bereits das neuere Kurs System verwendete.

Sojus T, Sojus TM und die Buran (und das Shuttle?)

Eigentlich hätte die Saljut 7 ja schon mit Sojus T-14 seine Aufgabe erfüllt haben sollen. Man hätte keine Verwendung mehr gehabt für die Saljut 7, und somit auch keinen Bedarf an Sojus-Raumschiffen mit dem alten Igla Kopplungsdesign, Sojus T genannt. Daher waren bereits weiter entwickelte Sojus-TM und – etwas später – Progress-Kapseln mit dem neuen Kurs Andockmechanismus in der Fertigung. Mit einer Sojus TM würde man aber nicht an die Saljut 7 ankoppeln können. Aber da war noch genau eine Sojus T auf Lager, die problemlos an die Saljut 7 aber auch an das „hintere“ Ende der Mir, das ja noch mit Igla kompatibel war, ankoppeln konnte. Die Sojus TM dagegen waren noch nicht einsatzbereit – während die Mir schon darauf wartete, in Betrieb genommen zu werden.

Was also tun mit der einen verbliebenen Sojus T? Zur Saljut 7, und die nicht erledigten Experimente durchführen, aber die Mir unbemannt lassen und riskieren, dass sie Schaden nimmt? Zur Mir, und die Saljut 7 aufgeben?

Dann war da noch die Buran: äusserlich und auch von den Dimensionen eine Kopie des Space Shuttle, mit einigen konzeptionellen Unterschieden. Geplant für den Betrieb der Mir. Könnte man mit der Buran nicht die Mir in Betrieb nehmen? Oder die Saljut 7 in den Laderaum bugsieren und zur Erde zurück holen? Und dann?

Buran
Buran bei ihrem einzigen Flug in den Weltraum. (c) unbekannt. Von Wikipedia (EN).

Gerüchte machten die Runde, die NASA würde versuchen, die Saljut 7 zu „bergen“, mit ihr zu landen und dann? Als grosszügige Geste und zum Beweis der technischen Überlegenheit der Sowjetunion zurück geben? Gerüchte eben. Taugen für einen Roman, oder Science Fiction Film, oder einen Blog, eben. Und spätestens mit dem Challenger-Unglück ohnehin Makulatur.

De facto war die Buran keine Option. Der Jungernflug, unbemannt, erfolgte erst im November 1988, und dieser unbemannte Jungfernflug sollte leider auch der letzte Flug einer Buran überhaupt bleiben, bevor das Programm eingestellt wurde (offiziell erst 1993, faktisch wohl schon 1989).

Nun, es blieben drei Optionen zur Auswahl:

  1. Die verbliebene Sojus T-15 verwenden, um zur Saljut 7 zu fliegen, sie zu reparieren und die nicht erledigten Experimente ausführen. Dabei riskieren, dass die Mir für längere Zeit, bis zur Fertigstellung der Sojus TM oder der Buran, unbemannt blieb, dabei alterte oder vielleicht gar Schaden nahm.
  2. Die Saljut 7 aufgeben und die Mir in Betrieb nehmen.
  3. Beides. Beides? Oh.

Nach reiflicher Überlegung (oder schierer Verzweiflung und Todesverachtung) wurde beschlossen, die dritte Option zu versuchen.

Sojus T-15

Wie schon bei der Rettungsaktion von Sojus T-13 wurde auch diesesmal wieder ein Sitz aus der Sojuskapsel entfernt, um Platz für Vorräte und Gepäck zu schaffen. Und auch dieses mal wurde eine Crew ausgewählt, die sich in der Saljut 7 auskannten: Leonid Kizim und Vladimir Solovyov waren beide bereits mit Sojus T-10 von Februar bis Oktober 1984 dort zuhause. Sie waren auch die letzten, die Saljut 7 noch bewohnt haben, bevor das erste grössere Problem auftrat, das durch Sojus T-13 behoben wurde. (Sojus T-11 und T-12 waren jeweils nur Kurzzeitmissionen, die quasi zu Besuch kamen und noch vor Sojus T-10 wieder landeten.)

UdSSR Briefmarke. Designer: G. Komlev. Michel Katalog Nr. 5524. L.D. Kizim (links), V.A. Solovyov (Mitte), O.Yu. Ot’kov (rechts); Besatzung der Sojus T-10 (alle drei) und Sojus T-15 (Kizim und Solovyov)

Die Mir wurde auf eine Umlaufbahn manövriert, die so ähnlich wie möglich zu der von Saljut 7 war. So konnte der eh schon sehr knappe Treibstoff sparsam eingesetzt werden. Da auch so die Treibstoffvorräte einer Sojus nicht ausreichen, um den Orbit einer schweren Raumstation wiederholt anzupassen, würde es auch noch zwei Progress-Transporter brauchen, die nacheinander zur Mir flogen und Vorräte und Treibstoff lieferten. Da die Progress-Tarnsporter aber mangels Besatzung nur automatisch koppeln konnten, und bis dato nur mit dem alten Igla-System funktionierten, mussten Kizim und Solovyov schon „zaubern“, um überhaupt an der Mir anlegen zu können: am 15. März 1986, zwei Tage nach dem Start, navigierte die Sojus automatisch vom Igla-System am hinteren Ende der Mir kontrolliert bis 200 m Abstand zwischen den beiden Raumfahrzeuge. Hier wurde der automatische Vorgang abgebrochen, und die beiden Kosmonauten bugsierten ihr Raumfahrzeug manuell um die Mir herum und koppelten an das vordere Dock. Hier profitierten die beiden von den Erfahrungen der Sojus T-13 und einem speziell dafür entwickelten Laser-Entfernungsmesser.

Jetzt konnte die Arbeit endlich beginnen. In knapp 55 Tagen setzten die beiden die Mir in Betrieb, luden dabei zwei nacheinander ankommende Progress-Lastkapseln aus und installierten das angelieferte Gerät. Jetzt packten die beiden ihre persönlichen Gegenstände, Werkzeuge, Ausrüstung und sogar selbst kultivierte Pflanzen ein, stiegen in ihre Sojus und machten sich auf den Weg zur Saljut 7, die auf einem etwas niedrigeren Orbit gewartet hatte. Um den Unterschied zwischen den beiden Orbits zu verkleinern und somit Treibstoff zu sparen, wurde die Umlaufbahn der Mir mittels einer Progress-Kapsel an die der Saljut 7 angepasst und der Abstand auf 2500 km reduziert. Nach einem 29-stündigen Transfer dockte die Sojus T-15 erfolgreich an Saljut 7 an.

Wie schon bei der Reparaturmission von Sojus T-13 war die Saljut 7 auch diesesmal ohne Stromversorgung und komplett ausgekühlt. Nach der erfolgreichen Inbetriebnahme führten die beiden zwei „Weltraumspaziergänge“ oder EVAs (Extra-Vehicular Activity) durch, experimentierten und bargen wertvolle Messinstrumente, die mit den beiden zur Mir umziehen sollten. Insgesamt wurden fast 400 kg wertvolle Ausrüstung für den Umzug vorbereitet und eingepackt.

Während die Kizim und Solovyov auf Saljut 7 arbeiteten, flog eine Sojus-Kapsel der neuen Generation, Sojus TM-1, unbemannt zur Mir, koppelte automatisch am Kurs-Stutzen, dockte nach 9 Tagen wieder ab und landete ebenfalls unbemannt. Dieser Flug diente als Test für die neue Sojus Generation und für das neue automatische Kopplungssystem Kurs.

Am 26. Juni traten Kizim und Solovyov den 29-stündigen Rückflug zur Mir an. Hier angekommen entluden sie die Fracht, installierten mitgebrachte Messgeräte und führten Experimente durch.  Drei Wochen später begannen die Vorbereitungen für die Rückkehr zur Erde. Die Mir wurde in einen nominalen Ruhezustand versetzt, und am 16. Juli 1986 legte Sojus T-15 von der Mir ab und landete sicher und planmässig in der sibirischen Steppe.

Die vielleicht verrückteste bemannte Mission – so komplex und waghalsig sie war, wurde erfolgreich beendet. Die Sowjets hatten nun die Saljut 7 Ära erfolgreich beendet, die Nachfolgestation Mir in Betrieb genommen, das letzte alte Sojus-T Raumschiff sinnvoll eingesetzt, das Nachfolgemuster Sojus TM erfolgreich getestet, und konnten den kommenden Jahren mit Zuversicht entgegen sehen – während die Kollegen bei der NASA seit dem Challenger-Unglück im Januar 1986 quasi flügellahm zusehen musste.

Epilog

  • Die Space Shuttle Flotte konnte zwei Jahre nach dem Challenger-Unglück den Betrieb wieder aufnehmen.
  • Die beiden politischen Blöcke näherten sich unter Gorbatchov einander an und vereinbarten gemeinsame Projekte im Weltraum. 1995 dockte das Space Shuttle erstmals an der Mir an. Es begann eine längere Phase, in denen regelmässig Shuttles (neben Sojus TM) zur Mir flogen, Vorräte und Gäste – auch aus Europa – brachten und holten.
  • Die mit der Mir gewonnenen Erfahrungen – also der sukzessive Aufbau einer grösseren Station aus mehreren zweckoptimierten Modulen, und der Transport von Mann und Maus mit dem Space Shuttle und anderen Raumkapseln, wurden bei der Planung, beim Aufbau und beim Betrieb der International Space Station ISS ausgenutzt.
  • Leonid Kizim liess sich 1987 in den Ruhestand versetzen. Er starb im Juni 2010. Vladimir Solovyov wurde im Anschluss an die Sojus T-15 Mission der Mir Flugdirektor, wurde 1994 zunächst pensioniert, kehrte aber als Leiter der Russischen ISS-Aktivitäten zurück.

Quellen:

  1. http://www.spacefacts.de/mission/english/soyuz-t15.htm
  2. https://en.wikipedia.org/wiki/Soyuz_T-15
  3. https://en.wikipedia.org/wiki/Salyut_7
  4. https://en.wikipedia.org/wiki/Soyuz_T-10
  5. https://en.wikipedia.org/wiki/Kurs_(docking_navigation_system)
  6. https://en.wikipedia.org/wiki/Igla_(spacecraft_docking_system)
  7. https://en.wikipedia.org/wiki/Mir
  8. https://en.wikipedia.org/wiki/Buran_(spacecraft)
  9. https://youtu.be/8EPbJRsN1Zk

Empfehlung

Curious Droid betreibt einen YouTube-Kanal, auf dem er zahlreiche sehr gut recherchierte und kompetent präsentierte Videos (in Englisch) zu Raumfahrt-Themen veröffentlicht, so wie dieser sehr schöne Film zu Saljut 7.